Am Mittwoch, 19. September 2012 besuchten EVRIM SOMMER (frauenpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE) und DR. GABRIELE HILLER (sportpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE) Seitenwechsel e. V. im Mehringhof und sprachen über
SPORT (T)RÄUME FÜR MÄDCHEN.
Seitenwechsel e. V. schafft Sport-Räume für Mädchen – so wie es zu ihnen passt und wie sie es sich wünschen. Neben dem normalenTrainingsbetrieb gibt es Aktionstage, Workshops, Ausflüge und Feriencamps. Der 1988 von sportbegeisterten lesbischen Frauen gegründete Verein hält vielfältige Angebote in verschiedenen Formen, an verschiedenen Orten, mit verschiedenen Akteuren bereit.
Über dieses Treffen verfasste die Journalistin Ina Krauß folgenden Bericht:
Sport(t)räume für Mädchen und Frauen
Von Ina Krauß
Ortstermin an einem sonnigen Herbsttag 2012 bei Seitenwechsel e.V. in der Geschäftsstelle im Mehringhof. Gabriele Hiller, sportpolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke im Berliner Abgeordnetenhaus, besuchte in Vertretung von Evrim Sommer Frauen im Sport, Macherinnen also, die zwar nicht den klassischen Berliner Frauenprojekten zuzuordnen sind, aber dennoch eine bewegte Frauengeschichte vorweisen können.
Etwas versteckt im dritten Hinterhof bis ins dritte Obergeschoss hoch – wer ohne zu keuchen oben ankommt, ist sportlich gesehen schon auf dem richtigen Weg. Tägliches Treppentraining hält jeden Körper in Schwung und bringt die Synapsen zum Hüpfen. Roswitha Itong Ehrke, Vereinsmanagerin, und Miriam Vogt, Geschäftsstellenkoordinatorin von Seitenwechsel e.V., strahlen das auch aus: sportliche Frauen mit viel Schwung und Freude an dem, was sie im Vereinssportleben organisieren, ermöglichen, erleben und beeinflussen.
In erster Linie halten Roswitha Itong Ehrke und Miriam Vogt Europas größten Sportverein für Frauen, Lesben, Trans und Mädchen organisatorisch und logistisch am Laufen. 1988 in Kreuzberg gegründet, agiert Seitenwechsel e.V. in Friedrichshain und darüber hinaus. In 25 verschiedenen Sportarten auf unterschiedlichem Level bietet der Verein eine bunte Mischung Breitensport: Basketball und Pilates, Kickboxen, Klettern und Karate, Fitness und Fußball u.v.a.m. – von Frauen für Frauen. Die knapp 40 Trainerinnen sind das "Herz des Vereins", entwickeln und gestalten den Trainingsbetrieb. Sie werden überdurchschnittlich gut und fair aus den Vereinsbeiträgen bezahlt. Das gehört seit seiner Gründung zum Selbstverständnis des Vereins: qualifizierte Arbeit muss entsprechend vergütet werden. Fast 800 Frauen sind inzwischen Mitglied und nutzen das vielfältige Angebot nach ihren zeitlichen Möglichkeiten und persönlichen Präferenzen. Bei Seitenwechsel e.V. landet Frau nicht zufällig. "Wer bei uns Sport treibt, tut dies ganz bewusst: weil die Umgebung stimmt, weil die Trainerinnen passen und weil das Konzept richtig ist", sagt Miriam Vogt.
Zum Konzept gehört auch, dass von den Monatsbeiträgen jeder Frau ein Euro in den Mädchensport gesteckt wird. Die Erwachsenen sind somit Förderinnen der nächsten Generation, die von den positiven Erfahrungen der Erwachsenen im und durch den Sport profitieren.
"Wir schaffen Sport(t)räume für Mädchen in Kreuzberg" steht auf einem Plakat, illustriert durch ein Foto, von dem neun Basketball spielende Powermädchen aus Friedrichshain-Kreuzberg herablächeln. Hier werden Sporträume von Frauen und Mädchen genutzt und Sportträume wahr, daran besteht kein Zweifel. "Aber das ist kein Selbstläufer", wie Roswitha Itong Ehrke, Sportwissenschaftlerin, Trainerin und hauptamtliche Vereinsmanagerin sagt. "Frauen und Mädchen müssen sich die Räume im Sport wirklich nehmen und sie auch beanspruchen." Räume steht nicht nur für Trainingshalle oder Schwimmbecken, Fußballplatz oder Boxring; Räume beanspruchen heißt auch im übertragenen Sinne sich sportorganisatorisch Gehör zu verschaffen, Raum einzunehmen, gedanklich vorzukommen, nicht nur als schmückendes Beiwerk. "Im Vereinssport ist die Zielgruppe Mädchen unterrepräsentiert." Und deshalb wird das Thema Mädchensport schon seit 2001 bei Seitenwechsel e.V. sehr ernst genommen.
In einem sportbegeisterten Deutschland, einer sportverliebten Hauptstadt wie Berlin und einer fitnessorientierten Gesellschaft klingt das geradezu aberwitzig, aber die Macherinnen von Seitenwechsel e.V. haben ihre Erfahrungen und sind zudem mit der Realität konfrontiert, wenn es um die Förderung und Wahrnehmung von Frauen und Mädchen im Vereinssport geht. Denn auch im Sport teilt sich die Welt in eine männlich orientierte und eine weiblich zugewiesene.
Gabriele Hiller, sportpolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke, benennt ein wichtiges Ziel für Berlin: "Wir wollen Frauen und Mädchen im Sport stärken", was konkret bedeutet, dass es Defizite gibt und diese sollen in den Blick gerückt, benannt und auch geändert werden. "Wir wollen kein Bashing der anderen, sondern Ideen entwickeln und Möglichkeiten schaffen", so Gabriele Hiller. Parlamentarisch hat sich die Fraktion bereits dafür stark gemacht. Drei Anträge zur Stärkung von Frauen- und Mädchensport wurden gestellt und wurden von allen Fraktionen unterstützt. "Nun müssen die Beschlüsse des Berliner Parlaments auch in die Tat umgesetzt werden".
Es geht ganz banal um das Angebot von Sportarten, um die Vielfalt, um die Gelder und um die Wertigkeit, die man dem Frauensport beimisst. Strukturen, die in Berlin für Sportarten und Vereine existieren, sind für Frauen- und Mädchensport nicht optimal. "Das Sportgesetz fördert den Wettkampfbetrieb", sagt Roswitha Itong Ehrke. Und zementiert somit Vorteil für das männliche Geschlecht. "Vereinssport wird in erster Linie für Jungs und Männer gedacht und konzipiert." Das ist kein Vorwurf, sondern nüchterne Analyse, gelebte Geschichte, das hat Tradition, folgt zumeist alten Denk- und Rollenmustern. "Dass ein Junge mit drei, vier Jahren einen Fußball in die Hand bekommt und regelmäßig zum Training und zu Wettkämpfen darf, ist keine Frage", sagt Ehrke. Dass ein Mädchen analog über den Platz kicken könnte oder beim Basketball erfolgreich einen Rebound setzen könnte, wird kaum in Erwägung gezogen. "Wir sind ja genetisch gesehen nicht ballfremd", spottet Ehrke.
Im klassischen Vereinssport geht es um Talentsuche für die Erwachsenenmannschaft, um Wettkampf, Punkte und Spielbetrieb. Jungs wird das von klein auf ermöglicht, im Mannesalter ist es für sie dann selbstverständlich. Mädchen fallen nicht immer, aber gerne mal durch die Denkmuster. Und Frauen suchen im Sport häufig nach anderen Kriterien, wie z.B. Flexibilität beim Training statt Wettkampfroutine am Wochenende. Aber das funktioniert im klassisch organisierten Vereinssport nicht, denn nur, wer an Wettkämpfen teilnimmt, bekommt Trainingszeiten und Trainingsräume, Hallen und Plätze zugewiesen.
Prinzipiell akzeptieren die Macherinnen von Seitenwechsel e.V. auch, dass Vereinssport klarer Wettkampfordnung, Zuverlässigkeit im Trainingsbetrieb und Organisation bedarf. "Aber wir betrachten diesen Teil des Vereinssports kritisch", so Roswitha Itong Ehrke. Wichtiger sei zu fragen, "wodurch und wie erreichen wir, dass mehr Mädchen und Frauen sich vielfältig sportlich betätigen – regelmäßig im Verein, jenseits eines starren Wettkampfsystems?" Und auch "jenseits boomender Fitnessstudios", ergänzt Miriam Vogt. Sport solle keine One-Woman-Show sein.
Seitenwechsel e.V. verfolgt einen selbst gewählten Ansatz, um Mädchen und Frauen Sport zu ermöglichen. "Bei uns geht es um Bewegung, um Körpergefühl. Wir wollen bei Mädchen Bewegungsfreude fördern. Wir wollen alle, die Spaß daran haben, mitnehmen." Sport ja, auch Kampf um Punkte und Sekunden, aber keine starren Hochleistungsstrukturen, denn Wettkampfsport sortiert die Schlechteren aus. "Wir wollen nicht selektieren, sondern motivieren", sagt Ehrke.
Dafür hat Seitenwechsel e.V. vielfältige Möglichkeiten geschaffen. Trainerinnen gehen in Brennpunktschulen in Kreuzberg und Friedrichshain, unterstützen den Sportunterricht aktiv und kreieren darüber hinaus außerschulisch Mädchen-Sportgruppen. Mit Boxen und Fußball, Akrobatik und Basketball, Antiaggressionstraining und Schwimmen fördern die Macherinnen von Seitenwechsel e.V. die Freude an Bewegung und Sport, stärken das Selbstwertgefühl und das Selbstbewusstsein von jungen Mädchen und helfen zudem, Barrieren und Geschlechterstereotype abzubauen.
Als sich Seitenwechsel e.V. 1988 gründete, wollten Lesben gemeinsam miteinander Sport treiben und ein Zeichen für Toleranz und gegen Diskriminierung setzen. Es war eine bewusste frauenpolitische Handlung, einer bewegten Zeit entsprungen. Heute leisten die Macherinnen noch immer einen wichtigen Beitrag zur Stärkung der Zivilgesellschaft und gegen Diskriminierung.
Dass dafür Strukturen und Unterstützung seitens der Berliner Politik nötig sind, liegt auf der Hand. "Geld hilft!", sagt Roswitha Itong Ehrke. Sie wünsche sich von der Politik keine Lippenbekenntnisse, sondern verlässliche Projektförderung für den Mädchensport. "Drei Jahre wären gut, um eine Idee, ein Sportprojekt, zum Laufen zu bringen." Und weil zum sportlichen Wettbewerb gehört, eine Leistung zu hinterfragen, befürwortet Ehrke auch eine Evaluierung. "Das regt an, neu zu denken und immer mit der Zeit zu gehen." Bei Seitenwechsel e.V. wollen sie nichts geschenkt bekommen. Aber wenigstens Sportträume für Mädchen und Frauen schaffen.