Rede zum Themenabend „ Kontinuitäten und Brüche sozialer Ausgrenzung bis heute – Hartz IV muss weg!“
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Gäste,
Ich begrüße Sie alle recht herzlich im Abgeordnetenhaus zum heutigen Themenabend „ Kontinuitäten und Brüche sozialer Ausgrenzung bis heute – Hartz IV muss weg!“. Diese Veranstaltung findet anlässlich des „Internationalen Tages zur Beseitigung der Armut“ statt, der jährlich am 17. Oktober begangen wird. Mein besonderer Dank geht an den Arbeitskreis „Marginalisierte - gestern und heute!“, der diese Veranstaltung maßgeblich organisiert hat. Seit Jahren engagiert sich der Arbeitskreis gegen soziale Ausgrenzung und Diskriminierungen von sozial Benachteiligten bzw. Diskriminierten. Natürlich bedanke ich mich ebenso bei den Kooperationspartnerinnen und –partnern sowie Förderern, die diese Veranstaltung mitgestaltet und möglich gemacht haben.
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Gäste,
Jeden Tag müssen wir erneut erleben, dass Armut inmitten unserer Gesellschaft immer mehr Fuß fasst, gleichzeitig aber von vielen der Versuch unternommen wird, Armut als ein Randproblem und als selbstverschuldet hinzustellen.
Diskriminierende Äußerungen über ALG-2 bzw. Hartz-IV-Empfängerinnen und Empfänger sowie Migrantinnen und Migranten durch renommierte deutsche Politikerinnen und Politiker sind dabei längst keine seltenen Einzelfälle mehr. Zwar werden diese Diskriminierungen in den Medien und durch die Öffentlichkeit kritisiert, doch erfolgt dies selbst teilweise nur halbherzig oder sogar verharmlosend und hatte bislang kaum oder gar keine Konsequenzen. Schon gar nicht änderte sie etwas daran, dass die Diskriminierungen fortgeführt werden.
Einer der ganz Großen im Diskriminierungsgeschäft ist der ehemalige Finanzsenator von Berlin und jetzige Vorstandsmitglied der Bundesbank – Thilo Sarrazin. Dieses Mal folgten in dem Interview in der Zeitschrift „Lettre International“ zu seinen üblichen Diffamierungen auch noch rassistische Angriffe gegen Migrantinnen und Migranten.
Sehr geehrte Damen und Herren, iebe Gäste,
Dies als Pöbelei oder Lästerei zu verharmlosen, ist der falsche Weg. Denn -Wirkungen zeigen seine Diskriminierungen in nicht unerheblichem Maße. Liest man die Kommentare der Leser und Leserinnen auf den Webseiten der Medien zu der Berichterstattung über Sarrazins Ausfälle, dürfte klar werden, wie viele seinen Diskriminierungen gerne folgen. Einer Emnid-Umfrage zufolge, teilen 51 Prozent der Befragten seine Aussagen. Unter linken Wählerinnen und Wählern sollen es sogar 55 Prozent sein. Das dürfte das eigentlich Bedenkliche sein.
Offenbar verfängt die Strategie einiger bürgerlicher Medien sowie Vertreterinnen und Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft den Inhalt seiner Äußerungen als berechtigte Kritik und lediglich die Ausdrucksform als fragwürdig darzustellen. Andere versuchen mit dem Deckmantel der Meinungsfreiheit jeden Protest zu erschlagen.
Ich sage aber, Rassismus ist keine Meinung!
Andererseits - führt die zunehmende Durchdringung aller Lebensbereiche, wie Gesundheit, Bildung, öffentliche Dienste, Soziales durch das Marktprinzip und sogenannte Reformen, wie Agenda 2010 und Hartz IV zu einer zunehmenden Verarmung weiter Bevölkerungskreise. Deshalb hat DIE LINKE von Beginn an Hartz IV als Armut per Gesetz abgelehnt.
Die, durch jede Wirtschaftskrise verstärkten, zunehmenden Ängste einer überwiegenden Mehrheit vor sozialem Abstieg dürfen als Ursache für eine Abgrenzung von sozial Schwachen und Armen nicht unterschätzt werden. Das nutzen viele kleine „Sarrazins“ für ihre politischen Ziele. Wenn auch die Krisen sicher eine Begründung für aufkommenden Sozialchauvinismus sind, eine Rechtfertigung sind sie aber deshalb längst noch nicht.
Allerdings verwundert es nicht, dass Sarrazin für seinen unverblümten Sozialdarwinismus gerade auf Webseiten wie Politically Incorrect gelobt wird. Diese ist für rassistische Inhalte hinreichend bekannt. Feiern darf er sich auch in der Postille „Jungen Freiheit“ lassen, die eine Scharnierfunktion zwischen dem rechtskonservativen und dem Nazi-Spektrum einnimmt. Dort werden seine „Botschaften“ geteilt.
Warum dies so ist, welche Rolle dabei die Entstehung, Entwicklung und Anwendung des Begriffskonstruktes „asozial“ spielt, welche Kontinuitäten und Brüche sozialer Ausgrenzung es bis heute gibt – all diesen Fragen sind der AK „Marginalisierte – gestern und heute!“ und seine KooperationspartnerInnen nachgegangen. Das am 01. Oktober dazu veröffentlichte Buch „ausgesteuert, ausgegrenzt…..angeblich asozial“ wird im Anschluss hier ja noch vorgestellt.
Dabei bleibt die Aufarbeitung der und die Erinnerung an die verfolgten sogenannten Asozialen, darunter Bettler, Obdachlose, Homosexuelle, Sinti und Roma und viele mehr während der Nazidiktatur bis hin zur Inhaftierung und Ermordung zehntausender von ihnen in Konzentrationslagern der Mittelpunkt ihrer Aktivitäten. Gerade weil es eine Aufarbeitung dieser Thematik nach 1945 leider kaum bis gar nicht gegeben hat.
Nicht selten sahen sich als "asozial" gebrandmarkte Opfer, die die Stätten des Grauens überlebt hatten, im Jahr 1945 Behördenangestellten gegenübersitzen, die ihre Einweisung in ein Konzentrationslager zu verantworten hatten. Das Stigma "Asozial" verwehrte den Opfern seitdem jedwede Zukunftsperspektive. Noch heute prozessieren sie ihren Akten hinterher, da diese für sie nicht einsehbar in Bundes- und Länderarchiven fest verschlossen lagern. Eine umfassende Rehabilitierung und Entschädigung der betroffenen Opfer fehlt deshalb ebenfalls bis heute. Wen wundert es da noch, dass die Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag zur öffentliche Rehabilitation und Entschädigung der Opfer der Aktion "Arbeitsscheu Reich" antwortete: "Das geltende System der Entschädigungen für NS-Unrecht entspricht den Anforderungen". Im Umkehrschluss heißt das bis heute, die sogenannten Asozialen gehören nicht dazu und ihre Verfolgung ist kein spezifisches NS- Unrecht.
Dazu kommt- das öffentliche Interesse ist auch heute leider noch sehr begrenzt. Kein Wunder, werden doch Menschen im Kapitalismus lediglich danach bewertet, wie nützlich bzw. verwertbar sie sind. Der Begriff „Humankapital“ macht dies besonders deutlich. Und wer eben als nicht verwertbar gilt, der hat eben keine Existenzberechtigung, der soll sehen wo er bleibt.
Tragisch ist, dass leider gerade einige Gegnerinnen und Gegner der Sarrazinschen Ausfälle – z.B. aus Gewerkschaften – unbedenklich Sarrazin als „asozial“ bezeichnen. Und - es ist nicht der einzige Fall, in dem der Begriff „asozial“ bis heute völlig wahllos und willkürlich auf Personen oder Gruppen angewendet wird. Dabei müsste sich die Benutzung dieses „Begriffes“ wegen seiner historischen Genese verbieten. Besonders aber für diejenigen, die Diskriminierungen und Kriminalisierungen bekämpfen wollen.
Die Veranstaltung soll daher einen Einblick in diesen komplexen Diskussionsstoff geben und dazu anregen, sich intensiver mit den Ursachen, Begrifflichkeiten, Entwicklungen und Auswirkungen sozialer Ausgrenzung zu beschäftigen. Sie wird an dem grundlegenden Problem – nämlich der Verwertungslogik des Kapitalismus, die Definierung des Menschen einzig über ökonomische Gesichtspunkte, wer ist nützlich und wer unnütz bzw. wertlos, nicht vorbeikommen. Denn darin basiert die Ideologie der Ungleichwertigkeit, wird zementiert und dieAbwertung sozial schwacher Gruppen verstärkt.
Das dagegen die Politikerinnen und Politiker der letzten wie wahrscheinlich auch der jetzigen Bundesregierung darauf reagieren, dürfte zu bezweifeln sein. Verteidigen sie doch vehement u.a. ihre Agenda 2010 und die Harz IV-Gesetze und manifestieren damit die prekäre Situation der sozial Benachteiligten, die u. a. von Sarrazin diskriminiert werden.
Wenn die Anhebung der Regelsätze, die jetzt vom Bundesverfassungsgericht geprüft und von vielen, so auch von der LINKEN gefordert wurde, erfolgen sollte, darf deshalb nicht vergessen werden, dass Hartz IV weiterhin mit allen diskriminierenden Zwängen und Sanktionen bestehen bleibt. Deshalb bleiben wir bei der Forderung, dass Hartz IV komplett verschwinden muss. Nur ein bedingungsloses Grundeinkommen kann das Leben von Menschen unabhängig von Erwerbstätigkeit in Würde garantieren.